Lucens

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Schlussbericht über den Zwischenfall im Versuchs-Atomkraftwerk Lucens
Am 21. Januar 1969


Übersicht über den Zwischenfall

Die „Kommission für die Untersuchung des Zwischenfalles im Versuchs-Atomkraftwerk Lucens“ (UKL) wurde vom Vorsteher des EVED mit der sicherheitstechnischen Untersuchung der am 21. Januar 1969 in Lucens eingetretenen Ereignisse beauftragt. Mit dem vorliegenden Schlussbericht legt die UKL auftragsgemäss die Ereignisse ihrer Arbeiten vor.
Es hat sich herausgestellt, dass die Ursache des Zwischenfalles mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit im zeitweise gestörten Verhalten der Wellendichtungen an den Hauptumwälzgebläsen des Reaktorkühlmittels (Kohlensäuregas: CO2) lag. Während einer Stillstandperiode des Reaktors Ende 1968 drang bei Probeläufen dieser Gebläse zeitweise Sperrwasser in den Primärkreislauf ein. Bei einem nachfolgenden Startmanöver eines Gebläses wurde ein Teil dieses Wassers in einige Spaltstoffelemente befördert. Die Magnesiumhüllen der Segmente des am stärksten betroffenen Spaltstoffelements waren daraufhin während rund fünf Wochen der Korrosion ausgesetzt, wobei sich die Korrosionsprodukte grösstenteils an das untere Ende der Kühlkanäle absetzten, wo sie den Querschnitt in erheblichem Masse verstopften. Beim Reaktorstart am 21. Juni 1969 war die Kühlung dieses Spaltstoffelementes deshalb stark beeinträchtigt, so dass sich mit steigender Reaktorleistung einzelne Segmente zunehmend überhitzten.
Kurz bevor sich die Reaktorleistung auf 12 MW stabilisierte, wurde an der heissesten Stelle die Schmelztemperatur des Hüllenmaterials erreicht. Nach kurzer Zeit begann hier die Hülle wegzuschmelzen und die Temperatur des so entblössten Uranstabes stieg weiter an, bis auch er zu schmelzen begann.
Die kontinuierliche weitere Aufheizung dieses Spaltstoffelements brachte die Segmente in weiteren Kanälen zum Schmelzen bis schliesslich Segmente in einem Randkanal sich im CO2 entzündeten. Die dadurch entstehende, ausserordentlich starke und einseitige Erhitzung führte zu einem Verbiegen der Graphitsäule des Spaltstoffelementes.
Als die heisse Graphitsäule das sie umschliessende Druckrohr berührte, wurde dieses rasch lokal auf die Bersttemperatur erhitzt. Unter dem Druck des Kühlmittels platzte das Druckrohr auf und zerriss dabei auch das Kalandriarohr, worauf sich das Kühlmittel in den Moderatortank entlud. Kurz zuvor hatte die auf den Brand zurückgehende Abgabe radioaktiver Spaltprodukte aus dem Uran in das Kühlmittel automatisch eine Schnellabschaltung des Reaktors ausgelöst und durch Schliessen der Ventilationsklappen einen Abschluss der Reaktorkaverne bewirkt.
Der rasche Druckanstieg hatte erhebliche Deformationen im Innern des Moderatortanks zur Folge und führte zum Bruch einer der als Überdruckschutz vorgesehenen Berstmembranen. Bei einer kurz darauf entstehenden zweiten Beschädigung des Druckrohres kam es zu einer explosiven chemischen Reaktion zwischen dem als Moderator dienenden schweren Wasser und hoch erhitztem, flüssigem Hüllenmaterial und Uran, das aus dieser Beschädigung herausspritzte. Die so im Moderatortank entstandene erneute Druckspitze zerstörte die restlichen Berstmembranen, und ein erheblicher Teil des Moderators wurde durch diese Öffnungen aus dem Tank gepresst.
Das aus dem beschädigten Druckrohr ausströmende Kühlmittel bahnte sich seinen Weg durch den ausgeworfenen Moderator bis in den über dem Reaktor befindlichen Verteilnetzraum. Darauf öffnete eine seiner Überdruckklappen, was schliesslich den Austritt des Kühlmittels in die geschlossene Reaktorkaverne ermöglichte.
Die Dekompression des Kühlmittels war nach ungefähr 15 Minuten abgeschlossen und führte auf einen Kavernenüberdruck von 220 mb. Dieser Überdruck stieg wegen verschiedener Gas- und Druckluftquellen während den folgenden drei Tagen noch etwas an, bis das Gemisch in der Nacht vom 24. auf den 25. Januar über Filter und durch den Kamin aus der Reaktorkaverne kontrolliert an die Umgebung abgegeben wurde.
Nachdem in der Reaktorkaverne anfänglich eine Gamma-Dosisleistung von mehr als 100 rem/h gemessen wurde, sank dieser Wert bis zum Zeitpunkt der Kavernenspülung um mehr als das 1000-fache ab. Zufolge zweier undichten Stellen drang während der Überdruckperiode eine kleine Menge dieser Radioaktivität kontinuierlich von der Reaktorkaverne in die Maschinenkaverne und in die Abluft zum Kamin. Trotz dieser zwei Leckstellen erfüllte der Sicherheitseinschluss des Kraftwerkes seine Schutzfunktion noch mit einer grosser Reserve.
Die dadurch bedingte Abgabe von Radioaktivität, wie auch die Abgabe bei der späteren Spülung der Kaverne, hat die Bevölkerung in der Umgebung keinerlei Gefahr ausgesetzt.
Während des ersten Tages, als die Ventilationsanlage ausser Betrieb gesetzt war, drang leicht radioaktiv kontaminierte Luft durch den Zugangsstollen der Kaverne bis zu den oberirdischen Bauten vor. Die daraus entstehende Strahlenbelastung des Betriebspersonals lag beträchtlich unterhalb der nach Strahlenschutzverordnung zulässigen Grenzwerte.